Wir sind wieder eine Woche vor Ort in Baile Herculane und berichten dort aus unserem Tierheim.
Heute morgen um 8:30 Uhr ging es los und die erste Runde führt wie immer durch den Kurort – leider nicht viele Verbesserungen entdeckt…Verfall an allen Ecken, einiges ist abgehangen und abgedeckt. Zum Schutz aber wohl auch zum Verdecken…Über den Winter ist so gut wie gar nichts an Restaurierung passiert, vielleicht tut sich in den nächstem wärmeren Monaten wieder etwas mehr.
Nach einem kleinen Cafe im Tierheim machten wir mit Mishu und Alex unsere Runde und bestaunten erst mal die richtig tolle Arbeit vom Baurudel, die vor wenigen Tagen erst abgereist sind. Die Zwinger der B-Kennels sind nun absolut massiv und werden viele Jahre halten! Eine große Entlastung für die Arbeiter vor Ort, die täglich tausend Aufgaben zu erledigen haben… Leider sind die Kennels absolut voll, die Laustärke ist deutlich höher als beim letzten Mal und wir mussten heute einige Mal ziemlich deeskalierend einwirken…Gerade der Welpenbereich macht uns echt Bauschmerzen, da die letzten Generationen noch nicht mal ansatzweise vermittelt sind und schon zu Teenagern werden, und die nächste neue Generation bereits in den Startlöchern steht und dringend ausreisen müsste. Doch leider waren bei den letzten Transporten immer nur 7-8 Hunde aus Baile auf der Liste und so stapeln sich die Hunde langsam dort… Heute wurde kein neuer Hund ins Tierheim gebracht, was aber eher die Ausnahme ist…
Und dann kommt immer der Punkt, an dem man irgendwo einfach anfangen muss, damit man nicht zappelig wird, weil so viel Arbeit vor einem ist und der Berg ja irgendwie erklommen werden muss. Also ging es los in Kennel H1, wo uns direkt der erste Notfall in die Arme viel. Opa BIBOH, sehr dünn, sehr klapprig, Ellebogen kaputt, leise weinend immer in unserer Nähe….Er darf zum Glück schon ganz bald ausreisen, wir haben heute eine Lösung gefunden!
In H3 – also unmittelbare Nachbarschaft tragen wir wieder auf die Jungs-WG mit Woody, Mankat und Keanu – alle drei Jungs seit 1-2.5 Jahren im Shelter, in ein und demselben Zwinger….Wenn man da so bei den Hunden ein paar Minuten sitzt und mit ihren Augen einmal schaut, was man so sieht in diesem kleinen Gefängnis, dann kommen einem die Tränen. Aber es bringt nichts direkt im 3. Kennel die Nerven zu verlieren und darüber zu philosophieren, warum die großen Rüden eh nie wirklich große Chancen besitzen…Wir können es für sie nur immer wieder probieren, sie immer wieder vorstellen und dafür sorgen, dass sie nicht in Vergessenheit geraten…
Weiter ging es also in der Nachbarschaft und auch hier zeigt sich leider das, was wir mittlerweile immer wieder antreffen: 50% des Kennels sind sehr freundlich und neugierig, 50% sind unsicher, abwartend und eher überfordert mit unserem Besuch….Meistens ergibt sich nach ein paar Minuten ein etwas anderes Bild, weil viele Hunde dann schon über ihren eigenen Schatten springen und merken, dass wir nicht der Tierarzt sind und einfach nur bei ihnen sind und vielleicht sogar auch noch Kekse dabei haben.
In Baile Herculane gibt es auf dem Gelände immer wieder abgetrennte Bereiche, in denen eigentlich kein Hund sein sollte, aber wie es immer so ist: Irgendeiner kann dann doch nicht im Kennel bleiben oder springt über jedes Zäunchen….
MOLKO haben wir heute dort angetroffen. Wir haben uns nicht direkt auf ihn gestürzt, sondern erst mal ein wenig ignoriert und uns alleine damit schon interessant gemacht. Er ist wirklich imposant und ein echter großer Herdi, der sich sehr souverän zu den anderen Hunden, die bei ihm leben, verhält…MOLKO ist schon ruhig, eher ein wenig behebig, aber durchaus ernstzunehmen. Alleine, weil er über 80cm Schulterhöhe hat und sicherlich an die 60-70kg wiegt. Eine tolle Begegnung!
Weiter ging es dann zu den P-Kennels (P für puppy = Welpe), wo wir mit P5 begonnen, weil es gerade wieder anfing zu regnen und dort das Dach sehr breit ist….Leider müssten wir aber die Kennels mittlerweile als T-Kennels bezeichnen, da dort lange schon nicht nur Welpen wohnen, sondern eben auch Teenager, die einst Welpen waren, aber bisher kein Zuhause gefunden haben…Die Stimmung war in den letzten Jahren immer sehr schön dort, viele kleine Hundekinder, die zufrieden und satt in der Sonne liegen und ausreichend Platz haben, um zu spiele und zu toben. Heute war leider alles völlig verändert: Maximal aufgeheizte Stimmung, ständig Klopperei, zwei Hunde wollten ständig über die Zäune klettern und die anderen warteten nur darauf, dass sie wieder loslegen konnte… Es gibt nichts explosiveres als Junghundekennels mit vielen halbstarken und unausgelasteten Hunden auf zu kleinem Raum. Der Ton ist absolut rau, alle wissen nicht wohin mit ihren Kräften, ihre Verzweiflung, ihrer Langweile. Es muss nur ein kleiner Stein ins Rollen kommen und schon tobt der ganze Zwinger. Das kann von einer auf die andere Minute gehen und für völlig Chaos sorgen. Die Stimmung war so schwankend, dass wir ständig mit drei Augen auf die Nachbarzwinger schauten, während wir versuchten von völlig überdrehten Junghunden gute Fotos und Videos zu machen….Nach 35min waren wir ziemlich entnervt und gefühlt nicht sehr erfolgreich… Nach diesem Kennel war mir wieder mal sehr klar, wie sehr alles auf Messers Schneide steht und wie unvorhersagbar die Stimmung gerade bei diesen Hundegruppen ist. Die Teenager dort müssen dringend umgesetzt werden, das teilte mir Tierärztin Andreea auch direkt mit, aber die große Frage ist: Wohin? Es ist alles voll, die Gruppen bestehen schon seit einigen Monaten und jeder neue einzelne Hund, der in eine bereits bestehende Gruppe gesetzt wird, durchläuft eine harte erste Zeit, oftmals ist eine Integration bei dem Stressniveau nicht wirklich möglich. Wir haben in allen Sheltern immer wieder das Problem, dass bestehende Gruppen Neulinge teilweise gar nicht mehr akzeptieren und in einem unbeobachteten Moment dann zuschlagen… Daher geht das ganze System nur auf, wenn die gesamte Gruppe neu zusammengesetzt ist und die Karten neu gemischt werden… Dafür müssen wir aber erst mal den gesamten Zwingerbestand kennen und die Gruppen besuchen, damit wir überhaupt eine Idee darüber entwickeln können, wen man wohin setzen könnte…Dafür brauchen wir aber ein paar Tage…
Unser großes Ziel muss es sein, dass die Welpen das Tierheim so zeitnah wir möglich verlassen. Teenager Gruppen müssen zeitnah auseinandergesetzt werden, damit sie auch Kontakt zu souveränen Althunden haben, die entsprechende Grenzen setzen können. Aber der erste Punkt ist quasi nicht umsetzbar, da wir in allen 4 Tierheimen gerade im Frühjahr so viele Welpen in der Vermittlung haben, dass es nicht möglich ist, für alle einen Platz zu finden. Der zweite Punkt ist eher umsetzbar, aber auch nur, wenn eben Neubildung von Gruppen möglich ist, ansonsten funktioniert dieser Punkt auch nicht…Sackgassen Gefühl….Nicht gut für den ersten Tag.
Nach dem wir die Teeanger Gruppe halbwegs im Kasten hatten, gingen wir Richtung Vethouse. Dort sind aktuell so viele Hunde wie nie zuvor untergebracht. Wir haben alleine 6 Hunde, die nach einem Autounfall ein Bein gebrochen hatten, was operiert werden musste. Mittwoch fährt MIshu wieder nach Craiova zum Check….. Die OPs laufen immer sehr gut, die Nachversorgung auch, aber dann kommt die große Black Box….postoperativ müssten alle Hunde dringend Physiotherapie haben, aber das ist hier so unwahrscheinlich wie lila Kühe auf der Weide. Wir fahren alleine schon über 3,5 Stunden in die nächste Tierklinik, die überhaupt in der Lage ist, solche Beinbrüche zu operieren….Wer soll da also Physiotherapie ermöglichen?!
Ein sehr netter Rüde sitzt auch im Vethouse, er wurde fast totgebissen und und wurde zum Glück noch kurz vor knapp von Gabi, einem unserer Arbeiter hier, gefunden. Er musste komplett geschoren werden, denn die Wunden waren tief…. Täglich muss gespült und gereingt werden, täglich die Sorge, dass sich wieder alles entzündet. Der Zeitaufwand für so einen Hund ist hoch, es wird trotzdem alles gegeben….
Vethouse in Baile war früher irgendwie auch immer ein entspannter Ort, denn hier waren einzelne Fälle untergebracht und man hatte noch einigermaßen Zeit für sie. Nach dem Tag heute sieht da mein Blick ganz anderes drauf aus…So viele Hunde, die postoperativ versorgt werden müssen, die täglich mehrfach medizinische Hilfe brauchen. Handicap Hunde, kleine Oldies, neurologische Problemfälle. Tierärztin Andreea überschlägt sich völlig und die Massen an Welpen sind ein zusätzlicher fetter Tagesprogrammpunkt, der unfassbar viel Arbeit bedeutet…Ich bin so dankbar, dass wir sie hier haben und sie jeden Tag ohne zu jammern all das durchzieht. Aber auch ihr standen heute die Tränen mehrfach in den Augen, vor allem auch weil der kleine gelähmte Gianni gestern plötzlich verstorben ist, um den sie viele Wochen gekämpft hat und der diesen Freitag hätte ausreisen dürfen…
Später am Abend waren wir noch bei Marylin und Jonte. Zwei Hunde, die ich seit Jahren bereits kenne und bei Marylin sämtliche Entwicklungsschritte mitverfolgt habe. Zu Beginn war sie nicht anfassbar, völlig verstört, ihr Besitzer hatte völlig versagt. Langsam baute der Sohn von Mishu, Alex, Vertrauen zu ihr auf und Marylin öffnete sich, so dass sie Alex erlaubte, sie anzufassen und zu versorgen. Seit 2 Jahren dürfen auch wir zu ihr und ich erkenne immer mehr, was hinter diesem weißen Fellpanzer für eine tolle Lady steckt. Kein 0815 Hund, aber eine Hündin, die Kontakt braucht und sucht, die dabei sein will und ihren Menschen an ihrer Seite braucht. In ihrer kleinen Welt, die sie da nun hat, geht es ihr schon so viel besser als in ihrem Leben davor. Mich macht es aber immer so traurig, dass Marylin sich über solche kurzen Besuche und die gemeinsame Zeit so freut und mit dem bisschen, was wir geben können, schon so zufrieden zu sein scheint….
Was würde sie erst denken, wenn sie jeden Tag mit ihrem Menschen zusammen durch den Wald wandern dürfte?
Ich bin so gerne hier an diesem Ort, bei diesen Menschen und Tieren….Aber ich merke, dass hier alle an ihre maximale Grenze kommen und ich habe große Sorge, dass wir an einen Punkt kommen, wo Einsatz und Arbeitskraft nicht mehr steigerbar ist, die Aufgaben und Herausforderungen aber exponentiell durch die Decke schießen. Wir befinden uns immer häufiger an dem Punkt, wo wir viele Dinge so viel besser machen als vor 6 Jahren, aber die Belastung steigt jährlich. Unsere Welt hat sich in den letzten 2 Jahren sehr geändert und auch dieses Land hier hat deutlich darunter gelitten und tut es immer noch. Die Ukraine ist direkt nebenan, die Menschen hier sind sehr besorgt, die Stimmung ist nicht gut. Viele Menschen haben große Sorge, finanzielle vor allem. Wenige können sich gut um sich selbst kümmern, warum sollte man dann noch Kraft und Zeit für die Hunde vor der Haustüre aufbringen?
Am Ende des Tages, die Sonne verschwandt langsam hinter den Bergen, besprach ich mit Mishu noch einige wichtige Dinge. Der nächste Rettungswagen Einsatz ist geplant mit unsere Kastrations-Tierärztin, die weit raus fahren will in die abgelegenen Gebiete. Die C-Kennels sollen bald weiter modernisiert werden und wir arbeiten auch immer noch an einem Plan für unsere absolut scheuen Hunde, die niemals ausreisen werden. Freitag ist wieder Transport, Mishu wollte von mir Hoffnung gemacht bekommen, dass bald wieder mehr als 7 Baile Hunde auf der Transportliste stehen…. Ich kann ihn verstehen, ich sehe aber auch die vielen wunderbaren Hunde in Bucov, Campina und dem Sanctuary und mir zerreißt es das Herz…alle haben es verdient. Wir arbeiten zusammen, alle Hand in Hand. Aniela, Mishu und Mihaela schätzen sich alle sehr. Aber jeder für sich hier oder dort kämpft eben auch für die Hunde, die unmittelbar jeden Tag vor den eigene Augen sichtbar sind. Jedem Außenstehend muss aber klar sein, dass in allen 4 Tierheimen viele viele Schicksale sitzen, die darauf warten, endlich eine Chance ergreifen zu dürfen. Pauschale Aussagen wie: „Das Sanctuary ist ein viel schönerer Ort für die Hunde als das Shelter Bucov“ oder „in Baile geht es keinem Hund schlecht, das sieht in Bucov ganz anderes aus“… entsprechen nicht der Realität. Wir haben Hunde, die sitzen seit 4-5 Jahren in kleinsten Zwingern in Baile, im Sanctuary, in Campina…. Wir haben auch in Baile Hunde, die still leiden. Die im Sitzen einschlafen, die zitternd hinter der Hütte liegen…
Fakt ist: In Bucov leben die meisten Hunde und es gibt dort nicht wesentlich mehr Menschen, die diese Hunde im Blick haben….In den kleineren Sheltern fällt schneller auf, wenn ein Hund deutlich abbaut oder bei einer Beißerei massiv verletzt wurde… Fakt ist: In jedem Shelter gibt es Hunde, die bereits aufgegeben haben. Fakt ist: Jeder Hund sollte eine Chance haben. Nur wenn wir alle Shelter gleichberechtigt sehen, können wir so arbeiten, wie wir es seit Jahren tun. Alle zusammen in einem respektvollen Austausch. Wir freuen uns für jeden Hund, der reisen darf. Wir kämpfen um jeden Hund, dem es schlecht geht. Aktuell sind wir mit vielen Leuten verteilt in Rumänien unterwegs, jeder krabbelt im Dreck rum und versucht alles zu geben – 16 Stunden am Tag. Unser Team in Deutschland arbeitete ununterbrochen an der Galerie, schaut, dass die Hunde Namen bekommen, entlastet die, die gerade vor Ort sind. Und nur durch dieses Gemeinschaftsgefühlt bringt man auch einen solchen Tag wie heute zu Ende, der erneut sehr klar gemacht hat, dass alles auf Messers Schneide steht und sich die jeweilige lokale Situation sehr schnell sehr deutlich ändern kann. Hier in Baile hat sich einiges verändert. Wir merken es an den Hunden, die viel zu dicht sitzen und wir merken es an den Menschen, die jeden Tag alles geben und es doch nicht reicht…
Es wird eine Reise werden, die mich erneut an Grenzen bringt, die ich vorher so noch nicht erlebt habe.
Ich schicke ganz viele Grüße an meine Kolleginnen vor Ort in Bucov, die Unglaubliches leisten und an mein Team in Deutschland, auf das immer Verlass ist.
Bis morgen,
Anna