Nirgendwo ist mir der Sonnenstand so bekannt wie in Baile Herculane. Ich weiß genau, zu welcher Uhrzeit die Sonne wo stehen wird (immer ein wenig unterschiedlich je nach Jahreszeit) und vor allem weiß ich, wo welcher Schattenwurf in welchem Kennel ist. Klingt ein wenig nerdig, ist es vielleicht auch, aber mir sind gute Fotos der Hunde so wichtig. Und gutes Licht ist eben das A und O für ein gutes Foto. Heute morgen sind wir recht früh gestartet und hatten den konkreten Plan, bei Schiwago und Casper reinzuschauen, die hatten wir gestern Abend nicht mehr geschafft und es war der letzte Kennel im A-Haus. Heute morgen stellen wir dann aber fest, dass gerade Fütterungsstress war, es wurde sauber gemacht, und die Hunde sind dann immer schon ein wenig nervös und aufgeregt. Warum so viele Gedanken im Vorfeld? Ist doch nur einer von vielen Kennels hier…. Ja und nein. Diesen Kennel mit dieser Besatzung haben wir bisher noch nie betreten, da Schiwago am Zaun eigentlich permanent nur deutlich machte, dass er uns gerne umnieten will, wenn wir zu ihm reinkommen. Casper hat uns furchtbar leid getan, denn er ist super nett und sehnte sich so nach Aufmerksamkeit. Aber Sicherheit geht vor und keiner will einen 45 kg Hund am Hals hängen haben. Nicolai, einer der Arbeiter, macht dort immer sauber und Schiwago kennt ihn schon ein wenig und toleriert das. Aber jeder der mit einem anderen Ziel in diesen Kennel kommen wollte, stand auf der roten Liste von Schiwago. Gestern stellen wir fest, dass er zwar immer noch ein riesen Spektakel macht, aber wir sprachen uns gegenseitig gut zu, dass er doch ein wenig ruhiger wirkte…Gesagt getan, nachdem nach dem Füttern ein wenig Ruhe eingekehrt war, sind wir losmarschiert und haben ohne großes Zögern die Tür aufgemacht und erst mal ein wenig Leckerchen verstreut (Casper und Schiwago teilen Futter ohne Probleme). Das lenkte ihn ab, wir konnten erst mal ein wenig Raum gewinnen und uns Casper nähern, der sich unglaublich freute. Wir merkten schnell, dass Schiwago auf Frauen wesentlich positiver reagierte und er kam sehr nah zu mir, ohne irgendwie komisch zu werden. Ich machte ein paar Fotos von Casper, schrieb mir einige Dinge auf und ignorierte den Motzepeter erst mal ein wenig – immer ein gutes Mittel. Sich direkt allem und jedem wie sauer Bier anzubieten ist bei fremden Hunden erst mal eher nicht zu empfehlen und Distanz schafft Nähe – alte Regel, die immer zieht. Das war auch bei Schiwago so. Erst mal sehr dosierte Aufmerksamkeit und eher aus dem Augenwinkel mal gucken, als direkt in die vollen zu gehen. Er bliebt bei allem sehr entspannt, neugierig, schnüffelte, zeigte eine gute Grundentspannung und schien kein Problem damit zu haben, dass wir da waren. Florian behielt Casper bei sich, damit wir in die ganze Sache nicht zu viel Dynamik brachten, denn dann kann es immer sehr schnell kippen und das galt es zu verhindern. Einfach um Schiwago so entspannt wie möglich zu halten und ihm keinen Grund zu geben, nervös zu werden. So blieb alles schön im Rahmen und er fraß mir sehr entspannt aus der Hand und war ok damit, dass ich bei ihm stand. Ein guter Anfang, wir waren sehr zufrieden. Hier ging es um gar nicht mehr, als einfach in Kontakt zu kommen und darum, um für ihn nicht der Zaungeist zu sein, sondern eine feste Größe, mit der er interagieren kann.
Weiter ging es für uns heute in den C-Kennels. So viele wunderbare Hunde, meist alle recht groß. Wir haben aktuell einige Mioritic und deren Mixe bei uns. Die meisten sind wirklich großartige Hunde. Darunter auch YETI – er ist völlig verfilzt. Heute war Kennenlernen angesagt, die Tage über schneiden wir ihm mal die Filzplatten ab. Aber auch hier muss man erst mal warm werden, man schneidet nicht direkt einem Mioritic die Haare, den man 5 min kennt…
Heute hatte ich auch mal einen groben Kamm dabei. Einige Hunde haben wirklich das Winterfell doppelt und dreifach am Start. Aber um die eigentliche Haarpflege geht es uns dabei weniger, es ist für uns viel wichtiger zu sehen, wie die Hunde auf dieses unbekannte Kiste reagieren. Weichen sie aus, bleiben sie stehen, werden sie panisch…Auch so können wir noch etwas mehr an Puzzelteilen zusammensetzen, um die Hunde so gut wie es geht zu beschreiben.
Viele Hunde haben heute fest in der Sonne geschlafen und ich stelle mir manchmal die Frage, was sie so nachts machen. Wenn ich teilweise sehe, wie müde sie sind, wird mir nochmal klar, dass die Nächte alles andere als leicht sind. Wir müssen dringend noch einige geschützte Liegemöglichkeiten und Hütten aufstellen, in einigen Kennels sind immer noch zu wenige vorhanden. Jeder muss schauen, dass er ein gutes Plätzchen für die Nacht findet, teilweise gibt es leider auch immer mal wieder Hunde, die alleine in einer riesen Hütte liegen und keinen mit dazu lassen… Fair und friedlich ist auch Baile nicht. Viele Dinge laufen sehr gut und unser Eindruck ist, dass auch die Zusammenstellung der Gruppen ausgewogen ist, dennoch hat es heute einmal sehr heftig geknallt und ein junger Rüde wurde stark verletzt und stand unter Schock. Auch bei den Junghundekennels geht es teilweise bitterböse zu. Viele unausgereifte Charaktere, wenig Auslastung, Frust….da ist schon mal heiße Luft angesagt, die teilweise dann auch in einer fiesen Mobberei enden kann.
Das Licht heute, die Sonne, die lange Helligkeit…all das hilft, dass ein wenig mehr Frieden herrschen kann und alle tagsüber wichtige Ruhe tanken können. Denn die Nächte sind hier nicht das, für was sie da sind.
Auch NERO haben wir heute besucht. Auch er ist nicht einfach, war in Rumänien vermittelt., kam zurück aufgrund eines Beißvorfalls. Auch hier war er nicht immer klar zu lesen und all diese Infos machen es natürlich schwer, ihm neutral begegnen zu können. Wir finden es meist sehr viel besser, wenn wir gar nicht viel wissen und uns erst mal selber ein Bild machen, bevor uns dann erzählt wird, wen der Hund alles schon auf dem Gewissen haben soll. Diese Infos sind meistens eh nicht richtig, oder wurden falsch überliefert bzw. wurde der Hund vielleicht in eine Situation gebracht, wo er gar nicht anders konnte, als eventuell nach vorne zu gehen. Ebenso machen uns solche Infos voreingenommen, was uns befangen im gesamten Umgang mit dem Tier macht. Immer eine schlechte Basis. Bei Nero gibt es alle diese Infos und vermutlich sind wir befangen, ohne es aktiv zu wollen. Heute waren wir daher bei ihm einfach mal so im Kennel, ohne konkret was zu wollen. Aktuell lebt bei ihm leider auch eine echt hysterische Hündin, die am Zaun Vollalarm macht. Auch im Zwinger, wenn man bei ihr ist, versucht sie durch ihr Gekläffe alles abzuschrecken, ist aber im Grund nur eine kleine Nummer, die keine andere Planung am Start hat. Dennoch nicht ganz easy, denn sie muss man im Auge haben. Florian sass heute eine ganze Zeit bei ihr und hat sich anmotzen lassen, ohne dass er weggegangen ist, was für die Hündin völlig neu war. Sie macht Hysterie und es interessiert keinen. Irgendwann war dann Ruhe und sie motzte noch leise vor sich hin… Wichtige Erfahrungen, aber sie erfolgen hier wesentlich zu gering, wir sind nur kurz da, haben wenig Zeit…. Ein Dilemma…denn auch diese Hunde haben es so verdient. Überall da draußen sitzen sie…die Neros und Schiwagos….die unsicheren-hysterischen, die doch auch eigentlich nur verstanden werden wollen und nie etwas anderes gelernt haben. Überall fristen sie ihr Dasein. Hier, und woanders in Rumänien in irgendwelchen Kennels eingesperrt…Es ist unfassbar schwer für diese Hunde etwas zu erreichen, daher ist es das Mindestmaß, dass wir es auf die Reihe kriegen, eine realistische Einschätzung über diesen Hund abzugeben, um seine Chancen auszuloten und um eventuell doch vielleicht eines Tages den absolut richtigen Platz finden zu können… Gute Fotos, gute Infos. Dafür sind wir natürlich auch einfach hier. Einen Welpen kann jeder in die Kamera halten und für ihn Aufmerksamkeit erzeugen. Aber auch die Großen, die Schwierigen, die Herdis und die Frustrierten…alle sie haben die Chance, dass es Menschen gibt, die nicht an ihnen vorbei gehen, sondern aktiv nach ihnen schauen und hinter die Fassade blicken. Wir versuchen es jeden Tag hier. Manchmal geht es gut, manchmal sagt unser Gefühl: heute ist noch nicht der Tag. Sicherlich geht das auch so gut, da Florian und ich ein eingespieltes Team sind. Wir wissen, wo der andere steht, wer die Tür zu macht, wer bei Alarm was tut. Teilweise reicht die Kamera schon aus, damit ein Hund völlig abgeht, daher muss auch da geschaut werden, wo ich mich hinstelle für die Fotos. Wir müssen ausloten, ob wir uns hinhocken können, oder ob wir immer den Fluchtweg klar haben müssen. Können wir mit Futter arbeiten, oder geht es dann erst richtig an die Decke? Können wir locker sein, zum Spielen auffordern, oder geht dann durch die Dynamik direkt ein anderes Ventil auf? Können wir einen Hund aktiv ausbremsen bei seiner Flucht und schauen, was er tut, oder besteht bei dieser Option die Gefahr, dass er sich doch umdreht und nach vorne geht? Können wir unser Gesicht zum Hund beugen, oder ist dann die Nase ab? Kann einfach so ein Hund, der in der Hütte liegt, angefasst werden, oder reicht das, damit das Fass überläuft? So viele Dinge gilt es zu beachten, so viel Erfahrung spielt damit rein. Aber ohne das geht es einfach nicht bei Nero und Co. Ohne dieses Gefühl für die Sache, ohne die vielen Stunden Erfassung, die wir bisher schon gemacht haben, würde ich nicht den Kennel von Schiwago betreten. Es geht nicht darum, irgendjemandem irgendwas zu beweisen. Es geht uns schlicht und einfach darum, dass wir für jeden Hund versuchen, alles zu geben, und hinter die Fassade zu schauen. Nur wenn das möglich ist, kann mit gutem Gewissen direkte Vermittlung von Rumänien nach Deutschland funktionieren. Gerade bei großen Hunden, die eben wesentlich mehr Schaden anrichten können, als Dackel Dagobert. Hier in Baile sind zum Großteil große Hunde, durch die ländliche Region auch viele Herdenschutzhunde / Hirtenhund. Wir sind ihnen allen diese Verantwortung schuldig…
Wir sind wieder gestrichen k.o. – das ist einfach echte Kopfarbeit, wenn man zwischen Nero, Yeti, Schiwago und einer Prügelei hin und herdüst und versucht, alles irgendwie zu geben, damit man jeden echt und richtig kennenlernen kann…Hinter die Fassade schauen. Das ist eben mehr als nur nette Fotos von absolut freundlichen Hunden zu machen.